John Hanke sieht die Zukunft nicht vor dem Bildschirm

Auf dem letzten Pokémon GO Fest habe ich mit dem Niantic-CEO gesprochen.

John Hanke sieht die Zukunft nicht vor dem Bildschirm
Person: John Hanke. Quelle: Niantic.

Als Pokemon Go 2016 erschien, löste das Geolocation-Spiel von Niantic einen regelrechten Hype aus. Mehr als fünf Jahre (sowie eine Pandemie mit Ausgangssperren und Abstandsregelungen) später ist das Spiel so lebendig wie eh und je.

Das ausverkaufte Pokemon-Go-Fest im Britzer Park in Berlin Anfang Juli 2022 machte das deutlich. Dort traf ich den Niantic-Gründer und CEO John Hanke zum Interview. Umringt von Pokemon-Fans erklärt Hanke, warum er sich wünscht, dass die Menschen nach der Pandemie wieder mehr hinausgehen, statt mit einem VR-Headset vor dem Computer zu sitzen.

Mein Interview mit John Hanke

Warum ist AR besser als VR?

Das Pokemon-Go-Fest heute ist ein perfektes Beispiel dafür. Wir fühlen uns besser, wenn wir draußen herumlaufen und andere Menschen in der realen Welt von Angesicht zu Angesicht sehen. Wir sehen interessante Umgebungen wie diesen wunderschön angelegten Park. Es ist besser, dazu beizutragen, als alles digital von Grund auf neu zu erschaffen, denn dann verpassen wir all diese Dinge.

Mit Campfire hat Niantic ein soziales Netzwerk in der echten Welt angekündigt. Ist das der erste Schritt, dass Niantic mehr als eine Spielefirma wird?

Wir denken, dass ein Großteil des Spaßes an unseren Spielen nicht im Spiel selbst liegt. Es geht nicht um den Bildschirm, sondern darum, dass Menschen zusammensitzen, essen, trinken, sich unterhalten. In gewisser Weise geht es nicht so sehr um die sozialen Interaktionen, die innerhalb der App stattfinden. Es geht darum, die App zu nutzen, um soziale Interaktionen im wirklichen Leben zu schaffen, um Veranstaltungen zu planen, bei denen man zusammenkommt, und dann die App wegzulegen und sich einfach zu unterhalten.

Ist das Ziel also, dass man überhaupt kein Spiel mehr braucht?

Spiele haben schon immer diese Rolle gespielt. Sie bieten uns die Möglichkeit, einander kennenzulernen und eine Ausrede zu haben, um Zeit miteinander zu verbringen. Das ist also keine neue Idee. Das hat sicherlich nicht mit Videospielen angefangen.

Niantic hat letztes Jahr eine Investition von 300 Millionen US-Dollar für den Aufbau einer Art Metaverse erhalten. Anders als Meta setzt Niantic dafür bisher aber keine VR-Technologie ein.

Wir plädieren für eine andere Interpretation des Metaversums. Ich glaube, einige Leute stellen sich als Metaversum ein 3D-Videospiel wie Roblox, Fortnite oder Ultima Online vor. Das ist einfach eine 3D-Umgebung, die man über einen Computer oder eine VR-Brille spielt. Ich glaube, diese Faszination wuchs während Covid, weil alle drinnen gefangen und von Zoom gelangweilt waren.

Unmittelbar vor Covid drehte sich alles um unsere mobilen Geräte. Wenn man die in die Tasche steckt, wenn man in die U-Bahn steigt oder das Fahrrad nimmt, dann ist man immer bei seinen Freunden. Und natürlich kann man ein Taxi rufen oder ein Restaurant reservieren, man kann Google Maps nutzen, man kann all diese Dinge mit dem Telefon erledigen, aber es ist kein Ersatz für das echte Leben.

Einige Leute haben sich mitreißen lassen und angefangen zu glauben, dass dies die Zukunft ist, dass wir zu Hause bleiben werden, nur noch vor dem Bildschirm sitzen und in diese 3D-Umgebungen gehen werden, um dort den ganzen Tag zu arbeiten oder zu spielen. Und ich denke, das ist einfach falsch. Also haben wir uns gefragt: Was können wir sonst noch tun?

Unsere Vorstellung vom Metaverse der realen Welt ist eher eine Fortsetzung dessen, was vor Covid geschah. Es ist eine digitale Ebene auf der Welt, die uns hilft, etwas über sie zu lernen, Spaß an ihr zu haben und mit anderen Menschen zusammenzukommen. Das ist unsere Definition des Metaverse.

Beunruhigt Sie der Gedanke an ein eher eskapistisches Virtual-Reality-Metaverse?

Das beunruhigt mich nur insofern, als dass viel Zeit und Geld verschwendet wird, um es zu bauen. Es würde mich beunruhigen, wenn sie wirklich populär werden und die Leute mit VR-Brillen in geschlossenen Räumen sitzen. Das wäre eine schlechte Entwicklung für die Menschheit, aber ich glaube nicht, dass das passieren wird. Diese Art von VR-Erfahrung wird so sein, wie einen Film auf einem wirklich schönen Fernseher mit einem wirklich guten Soundsystem anzuschauen. Das will man vielleicht zwei Stunden pro Woche machen.

Niantic hat kürzlich angekündigt, dass es Entlassungen geben wird und dass das Unternehmen in "wirtschaftlichen Turbulenzen" steckt. Warum ist die kommende Krise für Niantic gefährlicher als die Pandemie?

Dem Unternehmen geht es wirklich gut. Events wie heute zeigen, dass wir davon profitieren, dass die Menschen in die reale Welt zurückkehren. Beim Personalabbau ging es darum, die makroökonomische Situation zu antizipieren, die für alle gilt. Ich denke, wir sind besser aufgestellt als Unternehmen, die nicht von dieser Rückkehr profitieren.

Dennoch müssen wir uns bewusst sein, dass es zu einer Rezession kommen könnte. Wir versuchen einfach, vorsichtig zu sein und sicherzustellen, dass wir so stark sind wie möglich. Wir sind in den letzten zwei Jahren gewachsen, und wir werden abwarten, was mit der makroökonomischen Situation passiert.

Niantic hat auch unangekündigte Projekte gecancelt, davor wurden bereits Catan World Explorers und das Harry-Potter-Spiel eingestellt. Wieso hat Niantic noch kein anderes Spiel gefunden, das so gut funktioniert wie Pokemon Go?

Wir sind zufrieden damit, wie sich Ingress über einen noch längeren Zeitraum entwickelt. Es hat eine Menge Fans hier in Deutschland. Unser Ansatz bei der Entwicklung von Spielen war schon immer, viele Projekte anzufangen und deren Anzahl im Laufe des Entwicklungsprozesses zu reduzieren. Bei der Entwicklung von Spielen ist es wie bei jedem anderen kreativen Projekt: Man weiß erst, was funktionieren wird, wenn man weit genug vorangeschritten ist.

Wir haben noch vier weitere unveröffentlichte Projekte. Also konzentrieren wir die Leute hauptsächlich auf diese Projekte, von denen wir glauben, dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein werden. Ich denke, das ist ein natürlicher Teil des Spielentwicklungsprozesses.

In Folge des Bitcoin-Crashs wurden viele unangekündigte Mobile Games eingestellt, die mit Blockchain- und NFT-Technologie arbeiteten. Hat Niantic damit auch experimentiert?

Wir haben ein kleines Team namens SpotX, über das wir auf unserer Entwicklerkonferenz gesprochen haben. Es ist ein sechsköpfiges Team. Sie sind sozusagen unsere Experimentiergruppe für NFT- und Blockchain-basierte Spiele, und wir planen, in diesem Jahr mehr mit ihnen zu machen.

Aber wir befinden uns noch in einer Lernphase. Wir sind noch nicht so weit, diese Technologie in unsere Hauptspiele zu integrieren, aber es könnte passieren. Blockchain halte ich für sehr interessant. Sie könnte sehr wichtig werden, aber das wissen wir noch nicht. Als Unternehmen müssen wir uns auskennen und selbst damit arbeiten. Ich glaube nicht, dass wir nur anderen Leuten dabei zusehen können. Wir müssen die Technologie selbst in die Hand nehmen, um zu sehen, wie sie funktionieren könnte.

Aber Sie gehen noch nicht aufs Ganze.

Noch nicht. Ich habe öffentlich gesagt, dass ich denke, dass die Idee einer webbasierten Identität unsere Privatsphäre besser schützen könnte als die Anmeldung bei bestehenden Diensten, die Sie heute zum Beispiel für die Anmeldung bei einer App verwenden würden. Das könnte ein wichtiger Teil der Zukunft und des Metaverse der realen Welt sein.

Das Eigentum an digitalen Objekten fühlt sich intuitiv richtig an. Wahrscheinlich sollte es nicht nur etwas sein, das durch Nutzungsbedingungen an ein einzelnes Unternehmen gebunden ist. Eigentum in einer umfassenderen Weise fühlt sich wie eine bessere Antwort für digitale Güter an. Das ist ein Bereich, in dem die Blockchain wichtig sein könnte.

Wenn man als Gamer viel Energie und Mühe in ein Spiel investiert und einen großen Bestand an Dingen ansammelt und dann beschließt, dass man ein anderes Spiel spielen möchte, wäre es für Gamer wahrscheinlich gut, wenn man diese Dinge einfach an jemand anderen verkaufen könnte. Wenn man Ski fährt und einen Haufen Skiausrüstungen kauft und dann beschließt, dass man mit dem Radfahren anfangen möchte, kann man seine Skiausrüstung verkaufen und damit ein schöneres Fahrrad kaufen. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis das Wirklichkeit wird.

Standortdaten gehören zu den sensibelsten Daten, die es geben kann. Wie stellen Sie sicher, dass die Privatsphäre ihrer Nutzer geschützt ist, wenn sie diesen teilen?

Für die Daten, die beim Spielen von Pokemon Go oder Pikmin Bloom entstehen, haben wir einen DSGVO-konformen Prozess. Wir verkaufen diese Daten nicht an Dritte, sie werden nur innerhalb von Niantic für diese Spiele verwendet.

Es gibt eine Menge großartiger Anwendungsfälle für die Ortungstechnologie, zum Beispiel wenn ich zu Veranstaltungen wie dem Pokemon-Go-Fest komme. Mit Campfire kann man seinen Freunden eine Nachricht schicken: Hey, wir treffen uns um 15 Uhr an diesem Ort. Das ist doch superhilfreich, oder?

Solange Nutzer wissen, was andere Leute sehen werden. Wir wollen nicht, dass jemand versehentlich Informationen preisgibt. Wenn du also in einer Pokemon-Arena antrittst und dein Pokemon dort zurücklässt, dann zeigt das Spiel an, dass du dort gewesen bist. Das ist Teil des Spiels, und wir wollen sicherstellen, dass die Leute das verstehen. Das ist etwas anderes als ein Spiel, das die ganze Zeit den Standort eines jeden auf der Karte anzeigt.

Jeder hat die Geschichte über die Entstehung von Pokemon Go als Spielerei in Google Maps gelesen. Das ergibt intuitiver Sinn als NBA All-World. Wie kam es zu dieser Idee?

In den USA ist die NBA Popkultur wie die Kardashians. NBA-Spieler sind Berühmtheiten, auf die gleiche Weise wie Fußballspieler hier. Wenn Sie in ein großes Einzelhandelsgeschäft in den USA gehen würden, gibt es einen Bereich, in dem neben Pokemon-Karten auch Sammelkarten von NBA-Spielern verkauft werden.

Das ist die eigentliche Verbindung. Die Leute haben Lieblingsmannschaften, sie sammeln ihre Lieblingsspieler. In NBA All-World begegnet man ihnen an verschiedenen Orten, und man kann auch, genau wie man gegen Pokemon kämpfen kann, mit den Spielern spielen.

Nur ist der Kampf dann ein Basketballspiel?

Dann ist es ein Eins-gegen-eins.

Habt ihr die NBA kontaktiert oder sie euch?

Das waren wir. Sie liebten die Idee, weil die NBA inzwischen über die Sportfans hinausgeht. Früher waren vielleicht nur Jungs daran interessiert. Jetzt sind die Spieler berühmt, sie haben Bekleidungsmarken, sie arbeiten mit Musikern zusammen. Es ist Teil der Popkultur.

Wir haben noch einen Partner, der Schuhe herstellt. In unserem Spiel wirst du verschiedene Arten von Garderobe für deine Spieler erwerben können. Du kannst Steph Curry und einen wirklich coolen Streetwear-Kapuzenpulli und coole Schuhe für ihn bekommen.

Wie wichtig ist es für Niantic, über das bestehende Publikum hinauszugehen?

Es gibt auch viele NBA-Spieler, die Pokemon Go spielen. Wir wollen nicht, dass alle unsere Spiele genau dieselben Leute ansprechen. Es ist eine Herausforderung: Wie können wir kreativ etwas anders machen? Manche Unternehmen würden vielleicht einfach versuchen, Pokemon Go zu klonen und zehn Versionen desselben Spiels zu machen, wie Candy Crush, X, Y, Z. Sie werden in Bezug auf die anderen Projekte, an denen wir arbeiten, noch weitere Dinge von uns sehen, die anders sind.

Es gab eine Menge Pokemon-Go-Klone, aber keines hat die Langlebigkeit des Originals erreicht. Im Moment sieht es so aus, als wäre Niantic das einzige Unternehmen, das es wieder schafft.

Ich denke, dass es viele Spiele geben wird, die die Leute im Freien spielen. Die Technologie ist gerade erst dabei, das möglich zu machen. Als wir Ingress entwickelt haben, war es schon schwer, nur das GPS zum Laufen zu bringen. Bei Pokemon war das einfacher, und jetzt gibt es bessere AR in den Handys. Sobald es eine AR-Brille gibt, wird man das bei allen großen Spielefirmen sehen. Stellen Sie sich vor, wie cool es sein wird, wenn man riesige Roboter in der Luft fliegen und kämpfen sieht. Wir werden sicher nicht das einzige Unternehmen sein, das so etwas baut. Ich mache mir da keine Illusionen. Aber ich hoffe, wir werden das beste Unternehmen sein.

Sie denken also, dass AR-Brillen die Zukunft sind? Denn gerade scheint es so, als wäre der Hype um Google Glass abgeflaut und alle konzentrieren sich auf VR-Headsets.

Man muss sich daran erinnern, dass VR schon einmal sehr angesagt war, dann nicht mehr und jetzt ist es wieder im Kommen. Auch AR durchläuft einen Zyklus. Die Frage ist, wohin die langfristige Entwicklung geht. Und für mich weist das den Weg zu AR-Brillen, nicht zu VR. Ich denke, die großen Unternehmen wie Apple und Facebook glauben das auch. Ich meine, an einem sonnigen Tag wie heute, würden Sie da in VR sein wollen? Hier ist es viel schöner. Egal, wie viele Pixel man hat.