Das habe ich gelernt, als ich mit dem E-Auto in die Berge gefahren bin
Am Horizont zeichnen sich langsam die Alpen ab, das flache Land weicht den Bergen. Oberstdorf, das Ziel dieses Ausflugs, ist bald erreicht. Mit dem Flachland verschwindet allerdings auch etwas anderes: die Blitz-Symbole des Routenplaners auf dem Display unseres Polestars.
Als autoloser Großstädter verlasse ich mich eigentlich bei jeder Strecke, die für ein Fahrrad zu weit ist, auf die Bahn, sei es den ÖPNV oder den ICE. Für einen Wanderausflug mit meinem Bruder bin ich über die Autobahn von Köln ins Allgäu gefahren - elektrisch.
Dabei interessierte mich, wie es um die Ladeinfrastruktur in Deutschland steht. Denn ohne sie hat man von den vielen schönen verkauften Elektroautos ja nichts. Je weiter wir uns auf dieser Fahrt Richtung Süden den Alpen nähern, desto dünner sieht es allerdings damit aus. Kickt selbst auf dem Kurzurlaub die Reichweitenangst?
Urlaub im Namen des Klimaschutzes
Eigentlich soll man im Urlaub ja nicht arbeiten, ganz kann ich mir es aber doch nicht verkneifen, auf der knapp 600 km langen Strecke von Köln nach Oberstdorf ein paar Notizen zum Zustand der E-Mobilität in Deutschland zu machen.
Dabei geht es entspannt los. Als ersten Ladestopp für den bei Abreise fast, aber nicht ganz vollen Akku des Polestar 2 empfiehlt das Navigationsgerät einen Halt im knapp 200 km weit entfernten Nahetal. Ankunft gegen Viertel nach zehn mit bequemen 25 Prozent Restladung.
Die Fahrt führt vorbei am Ahrtal, das im Sommer 2021 von einer der heftigsten Unwetterkatastrophen in der deutschen Geschichte getroffen wurde. Bei dieser Fahrt auf fossile Brennstoffe zu verzichten, fühlt sich umso besser an, wenn man wieder an die fast aus den Medien verschwundenen Opfer der Folgen des Klimawandels erinnert wird.
Entspannter fahren mit cleverer Software
Das Navi, das uns die Planung der optimalen Ladestrategie dankbarerweise abnimmt, ist nicht das auf dem Android-Betriebssystem des Polestars vorinstallierte Google Maps. Stattdessen benutzen wir den aus dem Play Store heruntergeladenen A Better Route Planner - ein Name, der mit der Abkürzung ABRP nicht weniger sperrig wird.
Meine erste Erkenntnis als ewiger Beifahrer: Smart, wie einem Phones die Arbeit abnehmen. Denn wenn Software eines kann, dann mit Zahlen jonglieren, und das spielt bei der Herausforderung, nicht mit leerem Akku auf der A61 liegenzubleiben, eine entscheidende Rolle.
Akkustand, Verbrauch, Distanz, vielleicht noch ein Stau dazwischen? All das berücksichtigt ABPR bereits, auch wenn wir nicht einmal genau angegeben haben, wie schwer unsere Rucksäcke im Kofferraum sind. Das vorinstallierte Google Maps hingegen beherrscht so etwas nicht - und besteht darauf, dass wir mit einer Akkuladung im Minusbereich am Ziel ankommen, ohne diesem Logikfehler Bedeutung zukommen zu lassen oder gar von sich aus eine Ladesäule auf dem Weg anzusteuern.
Nichts für Autobahnraser...
Mit den fehlenden Daten für Gewicht und Co rechnet die App etwas vorsichtiger, die Vorhersagen unterbieten wir also ständig, und der berechnete Restakkustand zum nächsten Wegpunkt zeigt eher nach oben als nach unten. Das liegt auch am umsichtigen Fahrstil, den ein E-Auto fast schon erzwingt. Bei konstanten 120 km/h mit Tempomat gibt der Akkuladestand eigentlich nie Anlass zur Sorge.
Zugegeben, als ich das letzte Mal mit einem gemieteten Benziner in den Urlaub fuhr, war mein Fahrstil nicht unbedingt der von jemandem, der ansonsten ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen unterstützt. Dabei wäre so eine Fahrweise sogar für Benziner am sparsamsten.
E-Mobilität bis fast zum Gipfel
Endlich angekommen wird das Auto gegen Wanderschuhe getauscht. Der Polestar bleibt mit knappen 15 Prozent beim Hostel geparkt. Und das nach insgesamt zwei je knapp halbstündigen Ladestopps auf der Autobahn. Am Hostel könnten wir zwar per Schuko-Steckdose laden, das Angebot lehnen wir aber aus Bequemlichkeit ab. Immerhin ist der Akku noch voll genug, denken wir...
Ganz entkommt man der Elektromobilität übrigens selbst auf schmalen Schotterwegen auf 1.000 Höhenmetern nicht. Bis auf einen einzigen gestandenen Radler mit respekteinflößenden Waden strampeln sich die Touristen von Elektromotoren unterstützt ab.
Die immer gleichen Herstellerlogos verraten, dass es sich dabei um Leihmountainbikes handelt. Bei denen scheint der Umstieg auf die Elektromobilität bereits vollständig abgeschlossen zu sein. Ob man sich das Radler auf der Hütte so wirklich verdient hat, muss jeder für sich selbst beurteilen.
Auf jeden Fall machen die E-Mountainbikes für Hobbyisten auch steile Pfade zugänglich, die zuvor kaum zu bezwingen waren. Ein Trend, der nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch neue Probleme aufwirft, aber uns zu Fuß nicht betrifft. Abgesehen von der Powerbank im Rucksack reichen uns Käsestullen und die schöne Aussicht als Antrieb.
Enttäuschung beim Energieversorger
Runter kommt man ja immer, sagt der Volksmund, und auch uns ist das nach der Besteigung des Rubihorns gelungen. Aber mit dem E-Auto ist Ankommen das eine, wieder wegkommen etwas anderes. Das Laden, das in der Stadt oder entlang der Autobahn noch kein Problem war, gestaltet sich im südlichsten Teil Deutschlands etwas schwieriger als gedacht.
Denn die erste auf dem Rückweg angesteuerte Ladestation auf dem Parkplatz eines Fastfoodrestaurants, auf die wir unsere Hoffnung setzten, erweist sich als Niete. Statt zu laden, wirft die Station lediglich eine wenig aufschlussreiche Fehlermeldung aus. Auch ein Anruf bei der Kundenhotline bringt uns nicht weiter, denn da geht niemand ran. Hinter der Säule steckt ein lokaler Stromanbieter, der die Elektroladesäule wohl eher als Image-Gimmick ansieht. Das Einzige, was wir hier mitnehmen, bleibt also ein Kaffee.
Mehr Glück haben wir bei der Outlet-Filiale eines namenhaften deutschen Textilherstellers. Er betreibt deutschlandweit schnelle Ladesäulen in Zusammenarbeit mit einem überregionalen Energieversorger. Von hier geht es 30 Minuten später endlich weiter zum Abendausklang bei Schuhplattlern, Zwiebelröstbraten und dem ein oder anderen Hellen.
Urlaub mit dem E-Auto? Kein Problem.
Ein wirkliches Problem ist der Inlandsausflug mit dem Elektroauto nicht - auf der Autobahn erst recht nicht, und wenn man ein wenig Vertrauen in die Datenlage diverser Apps hat, nicht mal am Ende der Bundesrepublik.
Natürlich sind 600 km über deutsche Autobahnen etwas anderes als eine 6.800-Kilometer-Reise ans Nordkap, wie es unser Leser Björn Schäfer vor einigen Jahren machte. Und natürlich macht auch der kurze Ausflug deutlich, dass die Ladeinfrastruktur in Deutschland noch einen Weg vor sich hat.
Erstmals eine längere Strecke mit dem E-Auto zu fahren, hat mir auch gezeigt, dass hinter der Verkehrswende zur Elektromobilität mehr steckt als einfach nur ein anderer Motor. Die Technik verändert durch ihre Stärken und Schwächen auch die Art, zu fahren. Man fährt konstant und in angemessenem Tempo und macht auf längeren Stecken mehr Pausen.
Vielleicht ist ein Effekt der Elektromobilität auf den Individualverkehr langfristig also, dass sie uns zu besseren Autofahrern macht. Zum Teil aus Zwang, den der Blick auf die Akkuladeanzeige bringt. Aber Zwang war ja schon bei der Gurtpflicht nicht das schlechteste Mittel, um Verkehrsteilnehmern etwas mehr Vernunft beizubringen.
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