Diese Instagram-Aktivistinnen machen Alltagssexismus unübersehbar
Wenn Menschen im öffentlichen Raum belästigt werden, ist wegschauen einfach. Genau dort, wo er dann landet – auf dem Boden – macht das Projekt Chalk Back auf sexualisierte Gewalt und Belästigung aufmerksam.
"Auch in Bremen werden viele Menschen täglich mit sexueller Belästigung konfrontiert und die Aufklärung dazu findet noch viel zu selten statt", sagen die Betreiberinnen des Ablegers in der Hansestadt, wo mir die Kreidezeichnungen zuerst aufgefallen sind. Ich komm dich besuchen stand da wie als Drohung neben dem Penny auf dem Gehweg.
"Mit den Ankreidungen vor Ort stolpern mehr Menschen über die Vorfälle und werden hoffentlich auf das Problem aufmerksam gemacht", schreiben mir die Macherinnen von @CatCallsOfBrmn. Die Bremer Ortsgruppe des internationalen Projekts besteht aus rund zehn Mitgliedern. Gestartet ist Chalk Back in den USA, in Deutschland mittlerweile als Verein eingetragen.
Was sie auf dem Weg zum Supermarkt oder Straßenbahn in Kreide sichtbar machen – von sexistischen Sprüchen bis körperlichen Übergriffen – sind echte Erlebnisse: "Jede*r Betroffene kann uns die persönlichen Erfahrungen bei Instagram schicken."
Das ist in der Menge auch indirekt noch eine Belastung. "Obwohl wir uns jeden Tag damit beschäftigen und man natürlich auch lernt, nicht alles an sich heranzulassen, schockieren manche Erfahrungen immer noch sehr." Dass sie sich in einer Gruppe organisieren, ermöglicht den Austausch. "Das hilft, die Belastung zu verringern."
Über Instagram werden nicht nur Anfragen angenommen, sondern auch Sprüche von der Bremer Straße dokumentiert. Dennoch ist der Bürgersteig mehr als eine symbolische Leinwand. "Online sehen uns natürlich vor allem Menschen, die schon mit dem Thema konfrontiert worden sind und uns gern im Kampf gegen sexuelle Belästigung unterstützen wollen."
Auf der Straße ist das Feedback dagegen nicht nur positiv. "Oft bleiben Leute einfach nur stehen und wollen lesen und verstehen, warum wir das ankreiden. Aber natürlich gibt es auch immer wieder welche, die unüberlegte bis negative Kommentare in Form von Witzen, Schuldzuweisung des Opfers, Kleinreden oder Ähnliches bringen."
Genau hier erreichen sie die Menschen, "die sich vorher noch gar nicht mit der Thematik beschäftigt haben und können so oft erste Denkanstöße mitgeben."
"Gleichzeitig erobern wir dort für die Betroffenen die Orte zurück und machen die Belästigungen für alle sichtbar, sodass niemand mehr wegschauen kann." So ist jede Ankreidung auch eine Ermahnung, weil sie häufig am Ort des realen Vorfalls steht – und das nicht nur bildlich vor der eigenen Haustür.
"Langfristig hoffen wir so natürlich auch ein Umdenken in der Gesellschaft anstoßen zu können, so dass in Zukunft auch bei sexueller Belästigung eingegriffen statt weggeschaut wird."
Am Regenradar lässt sich ablesen, wann die Ankreidungen wieder von der Straße verschwinden. Die Ankreiderinnen stört das nicht. Zum einen bleibt jedes Erlebnis im Internet dokumentiert. Zum anderen ist das Wegwischen ein Symbol – die Kreide verschwindet so schnell wie Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Probleme.
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